Liebe Leser*innen,
zur Frage „Welche Kritik an Ihrer Arbeit schmerzt Sie besonders?“ schreibt eine Mitarbeiterin einer Schule in Duisburg in der der ZEIT (Nr. 7/21): „Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich keine schulischen Leistungen benote, sondern eine zusätzliche Ansprechpartnerin für die Schüler sein darf, die sich um sie und ihre Zukunft kümmert. Daher bin ich in meiner Arbeit wenig Kritik ausgesetzt. Anders als die Schüler übrigens, die ständig bewertet werden.“
Das könnte bedeuten: Glücklich sind diejenigen, die keine schulischen Leistungen benoten müssen. Glücklich sind diejenigen, die sich um die Schüler*innen und ihre Zukunft kümmern dürfen. Und unglücklich sind diejenigen, die ständig bewertet bzw. kritisiert werden.
Wenn Noten diejenigen unglücklich machen, die sie geben müssen, wie auch diejenigen, die sie erhalten, wäre es dann nicht eine gute Idee, eine gewisse Zeit lang auf Noten zu verzichten? Unglücklich werden weder das schulische Personal noch die Schüler*innen in der Lage sein, den aktuellen Herausforderungen zuversichtlich zu begegnen. Und sie werden auch nicht in der Lage sein, Chancen in der Digitalisierung oder in der Anwendung neuer Lehr- und Lernarrangements zu erkennen und zu nutzen.
Wenn es – anders herum formuliert – glücklich macht, sich bewertungs- und kritikfrei mit den Schüler*innen und ihrer Zukunft zu beschäftigen, warum können diese Themen nicht viel mehr Raum im schulischen Leben bekommen? Zum Beispiel könnte ein bisschen Zukunft in die Schule geholt und Lernmethoden erprobt werden, die Start-ups und junge Unternehmen nutzen, denn gelernt wird nicht nur in der Schule! Die Schüler*innen könnten neue Themen bearbeiten, die ihre aktuelle Lebenswelt betreffen und das Kollegium dazu fortbilden. Es könnte ein FREI DAY eingeführt werden. Außerschulische Partner*innen oder Expert*innen, die sich die Schüler*innen ausgesucht haben, könnten das Schulleben analog oder digital bereichern. Es könnte der Dialog mit der älteren Generation begonnen oder ein Schüler*innen-Parlament aufgebaut werden, das für eine Weile die Geschäfte übernimmt.
Ja, die aktuellen Herausforderungen im schulischen Bereich sind für alle enorm groß. Die Wahrscheinlichkeit, unglücklich zu sein, steigt dementsprechend an. Lernen sollte aber immer auch mit Begeisterung und Selbstwirksamkeit der Schüler*innen verbunden sein. Begeisterung und Selbstwirksamkeit sind in Zeiten einer solchen Pandemie wichtiger denn je, wollen wir die Schüler*innen nicht als Lernende verlieren, sondern sie stärken, zuversichtlich der Welt von heute und von morgen zu begegnen.
Herzliche Grüße aus Berlin
Ihre Silke Ramelow mit dem Team von BildungsCent e.V.